Der Mensch ist kein Zweibeiner
Der Mensch ist kein Zweibeiner – Gedanken zur Balance und Einbeinigkeit
Als wir vor etwa 15 Jahren damit begannen, uns intensiv mit dem Thema Barfußlaufen, Schuhen und der natürlichen Bewegung des Menschen auseinanderzusetzen, dachten wir wie viele andere, der Mensch sei ein typischer Zweibeiner. Doch irgendwann machte es Klick: Der Mensch ist in Wahrheit ein Einbeiner. Sowohl beim Gehen als auch beim Stehen wird immer ein Bein belastet, während das andere entweder schwingt oder entlastet wird. Diese Erkenntnis hat nicht nur unser Verständnis von Bewegung verändert, sondern auch unseren Blick auf die Bedeutung von Balance- und Einbeinübungen geschärft.
Einbeinigkeit im Gehen und Stehen
Beim Gehen wechseln wir ständig zwischen Stand- und Spielbein. Während ein Fuß das Gewicht trägt, schwingt der andere durch die Luft oder bereitet den nächsten Schritt vor. Aber auch im Stehen ist die Lastverteilung auf beide Beine selten gleichmäßig. Tatsächlich stehen wir fast nie statisch mit gleichmäßiger Belastung auf beiden Füßen – es sei denn, wir führen gezielte Übungen wie Tai-Chi oder Qi Gong aus.
Im Alltag nehmen wir meist eine asymmetrische Haltung ein: Wir lehnen unser Gewicht in die Hüfte des Standbeins, während das Spielbein entlastet wird. Dabei arbeitet unser Körper äußerst effizient. Das Standbein profitiert vom Zug des iliotibialen Bandes, das das Becken stabilisiert. Der Fuß positioniert sich direkt unter der Nasenspitze, was uns einen stabilen und entspannten Stand ermöglicht. Nach einiger Zeit wechseln wir intuitiv das Standbein oder lehnen uns an eine Wand, um beide Beine zu entlasten.
Warum Balance- und Einbeinübungen essenziell sind
Wenn wir verstehen, dass unser Körper oft nur auf einer kleinen Fläche – etwa 25 x 10 cm – balanciert, wird klar, wie anspruchsvoll es ist, den Körperschwerpunkt auf dieser Unterstützungsfläche zu stabilisieren. Genau hier setzen Balance- und Einbeinübungen an, die wir als unverzichtbaren Bestandteil des Barfußtrainings betrachten. Sie stärken nicht nur die Fußmuskulatur, sondern fördern auch die Propriozeption, unser „inneres GPS“, das uns im Raum orientiert.
Die Rolle der Propriozeption
Unsere Fähigkeit, im Gleichgewicht zu bleiben, basiert zu einem großen Teil auf den Informationen, die unsere Füße an das Gehirn senden:
• 70 % der Informationen über unsere Position im Raum stammen von den Mechanorezeptoren (Somato-Sensoren) in den Füßen.
• 20 % werden durch das vestibuläre System (Gleichgewichtsorgan im Innenohr) erfasst.
• Nur 10 % stammen aus der visuellen Wahrnehmung.
Das zeigt, wie essenziell der Fußkontakt zum Boden für unsere Balance ist. Wenn wir unsere Füße trainieren und gleichzeitig die Sinne fordern, verbessern wir nicht nur unsere Stabilität, sondern auch unsere gesamte Bewegungsqualität.
Effektive Balanceübungen
Eine einfache, aber wirkungsvolle Übung ist der Einbeinstand. Um die Balance weiter zu fordern, kombinieren wir diese Übung mit kleinen Herausforderungen für die Sinne:
• Den Kopf drehen oder neigen.
• Die Augen in verschiedene Richtungen bewegen.
• Den Stand auf einem festen Untergrund halten.
Diese Übungen trainieren gezielt die Steigbügelmuskulatur (bestehend aus Musculus tibialis posterior, Musculus tibialis anterior, Musculus peroneus und der Wadenmuskulatur). Der Fuß wird gestärkt, die Balance geschult – und das ohne Überlastung.
Fazit: Der Mensch – ein Einbeiner
Unsere Arbeit in der Barfussschule hat uns gelehrt, dass der Mensch kein klassischer Zweibeiner ist. Das Verständnis für die Einbeinigkeit in Bewegung und Ruhe hat unsere Perspektive auf Balance und Stabilität verändert. Balance- und Einbeinübungen sind essenziell, um diese natürliche Bewegung zu unterstützen und zu fördern. Wer sich auf diese Übungen einlässt, wird nicht nur sicherer stehen und gehen, sondern auch die tiefe Verbindung zwischen Körper und Boden neu entdecken.
Per-Olof Waßen & Ben Grümer
Barfussschule
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